Bauschutt

Hilde killt – eine Kneipenwirtin räumt im Frankfurter Bahnhofsviertel auf (3)

„Roxanne ist verschwunden.“ Mandys Mundwinkel zogen sich nach unten. Sie blickte in ihr leeres Mojito-Glas.

„Deine Freundin.“ Hilde polierte den Tresen. Huren hatten keine Freundinnen, nur Konkurrentinnen, aber Roxanne und Mandy waren häufig zusammen unterwegs. „Sie wird sich wieder bei dir melden.“

„Sie ist schon seit zwei Tagen weg.“

„Vielleicht ist sie in eine andere Stadt gegangen.“

„Auf keinen Fall! Sie liebt Frankfurt. Ich mache mir Sorgen.“ Mandy schniefte, dann setzte sie ein künstliches Lächeln auf. „Ich muss. Drei Finger-Joe macht mich rund, wenn ich nicht pünktlich bin.“ Sie stolzierte hinaus. Ihre Stilettos waren waffenscheinpflichtig.

Hilde versorgte die drei Stammkunden, die in der Ecke auf ihren Barhockern festgetackert waren, mit neuem Bier. Gerade wollte sie verschnaufen, als ein Mann die „Wilde Hilde“ betrat, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Kurze, graue Haare, erste Falten, eine Lederjacke, darunter ein hellblaues Hemd und eine Jeans. Er wirkte dynamisch. Zu dynamisch. Nicht der Typ, der normalerweise bei ihr einkehrte.

„Bier, Schnaps oder ein Roter?“

„Nichts dergleichen“. Er trat näher an den Tresen, zückte eine Brieftasche, klappte sie auf und hielt ihr einen Ausweis unter die Nase. „Matthias Mattuschewski, Kriminalhauptkommissar.“

Bevor sie den Ausweis ansehen konnte, hatte er ihn schon wieder weggesteckt.

„Ich habe eine Frage.“ Mattuschewski griff wieder in die Innentasche seiner Jacke und holte ein Foto hervor. „Kennen Sie die Dame?“

„Roxanne! Was ist mit ihr?“

„Ich stelle hier die Fragen. Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?“

„Sie war regelmäßig hier. Am Samstag vielleicht?“ Hildes Hirn rotierte. „Samstags ist es sehr voll, aber ich meine, ich habe sie gesehen.“ Hilde wies auf einen Barstuhl direkt vor der Zapfanlage. „Normalerweise saß sie dort.“

„Leider muss ich ihnen mitteilen, dass wir sie tot aufgefunden haben.“

Hilde schnappte nach Luft. „Wie furchtbar“, brachte sie hervor. Sie kam um den Tresen herum und setzte sich auf einen Stuhl.

Der Kommissar wartete, bis sie den ersten Schock verdaut hatte. „Es wurden KO-Tropfen in ihrem Blut nachgewiesen, können Sie sich vorstellen, wer sie ihr verabreicht hat?“

„So ein Schwein!“ Hilde dachte nach, schüttelte den Kopf. „Ich würde gerne helfen, aber am Samstag war es proppenvoll. Samstags nacht sind viele Männer vom Land unterwegs, die Unterhaltung suchen. Praktisch alle Junggesellen Nordhessens.“

„Hätte ja sein können.“ Mattuschewski nickte ihr zu und ging.

Später am Abend kam Mandy noch einmal vorbei. Sie schien die Neuigkeit schon zu kennen, denn ihre Augen waren verheult. Hilde gab ihr einen Schnaps aus. Doch für Trauer blieb keine Zeit. Mandy hatten einen Mann abgeschleppt, beförderte ihn auf einen Hocker am Tresen und schäkerte mit ihm herum. Sein Bauch hing über den Hosenbund, sein Haar lichtete sich, ansonsten sah er ganz passabel aus.

Eine Gruppe junger Männer von einem Junggesellenabschied hielt Hilde in Atem, doch sie sah aus dem Augenwinkel etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Was kramte der Typ in seiner Jackentasche herum, während Mandy ihn befummelte? Das war doch nicht normal. Seine Hände sollten auf Mandys wohlproportioniertem Körper ruhen.

Hilde zapfte zwei Biergläser zu Zweidrittel voll, stellte sie zur Seite und setzte ein drittes unter den Zapfhahn. Sie hielt es leicht schräg und ließ das Pils einlaufen.

Mandys Begleiter bestellte zwei Aperol hielt seine Hand über sein eigenes Glas. Er trank Aperol Spritz, Mandys Lieblingsdrink. Sie hatte es ihm wohl angetan, dachte Hilde. Meistens soffen die Männer Bier, nur Frauen bestellten leichtere Mischgetränke wie den Aperol. Schien ja ein ganz sympathischer Typ zu sein. Gedankenverloren zapfte sie die Biergläser voll und beobachtete Mandys neuen Freier. Der knutschte Mandy ab, drückte ihr sogar einen Kuss auf den Mund, als sie den Kopf nicht schnell genug abgewandt. Doch was war das? Als Mandy den Kopf zur Seite gedreht hatte, vertauschte der Mann mit einer raschen Bewegung sein Glas mit dem von Mandy.

Mandy sah es nicht, denn sie war damit beschäftigt, den Mann auf Touren zu bringen. Als ihre Fingerspitzen über den Hosenstall des Mannes glitten, tauschte Hilde mit einer flinken Bewegung die Drinks zurück.

„Auf Dein Wohl, schöne Lady!“ Der Mann hob sein Glas und prostete Mandy zu.

Die griff arglos nach dem süßen Getränk, klimperte mit ihren überlangen, künstlichen Wimpern und nahm einen großen Schluck.

Der Mann tat es ihr nach.

Hilde zapfte weiter Bier Gläser, bis sich eine schöne Blume bildete.

Ein lauter Rums ließ sie aufblicken. Der Mann an Mandys Seite war vom Stuhl gekippt und in sich zusammen gesackt.

Schnell schob sie die frisch gefüllten Biergläser zu ihren Stammkunden am Ende des Tresens, umrundete diesen und schrie Mandy über den Kneipenlärm hinweg ins Ohr: „Wir müssen ihn rausschaffen.“ Sie griff dem Bewusstlosen unter die Achsel, Mandy schob ihren Arm auf der anderen Seite unter.

Gemeinsam schoben sie den schweren Körper durch die Menge der Gäste zur Tür. Kaum jemand beachtete sie, weil alle einen Schlager ein Schlager lief, den alle mitgrölten.

Kaum draußen, ließ Mandy den Mann fallen. Hilde alleine konnte sein Gewicht nicht halten. Der Körper entglitt ihr und schlug auf den Bürgersteig auf.

„Der verträgt ja nichts“, schimpfte Mandy. „Wie soll ich jetzt an dem verdienen, der kriegt doch keinen mehr hoch.“

„Schlimmer.“ Hilde berichtete, dass der Typ ihre Gläser vertauscht hatte. „Der hat Rapedrugs intus.“

„Das ist der mit den KO-Tropfen?“ Mandy wurde puterrot im Gesicht. Sie trat den Mann in die Rippen. „Das Schwein hat Roxanne umgebracht.“ Wütend stieß sie ihren Stiletto dem Mann ins Gesicht, dann zwischen die Beine. Der Mann musste wirklich hinüber sein, denn er reagierte nicht.

Hilde zerrte Mandy am Arm. „Du bringst ihn um.“

„Lass mich!“ Wie eine Furie trampelte Mandy auf dem Mann rum.

Auf einmal standen drei Männer vor ihnen. „Wo bleibst du? Deine Schicht hat vor zehn Minuten begonnen.“ Drei Finger-Joe griff nach Mandys Arm und zog sie mit einem Ruck an sich ran. Die beiden anderen – durchtrainierte Männer mit Nussknackergesichtern – standen seitlich hinter ihm. Dann fiel Joes Blick auf den Mann am Boden. „Was ist denn hier los?“

Er bückte sich und taste nach der Halsschlagader. „Mausetot.“

Hilde und Mandy schnappten nach Lust.

„Roxanne … die KO-Tropfen.“ Hilde wusste nicht, wie sie die Situation erklären sollte.

Doch der Lude begriff. „Los, packt mit an.“ Er deutete auf einen Container mit Bauschutt vor dem Nachbarhaus.

Seine beiden Begleiter griffen sich den Toten und wuppten ihn gemeinsam über die Kante des Containers. Sie zogen einige Rigipsplatten über ihn.

Joe tippte auf seinem Handy herum, sprach hinein. „Freddie, du entkernst doch gerade dieses Haus in der Elbestraße. Komm her, der Bauschutt muss entsorgt werden. Aber sofort.“

*** Ende ***

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Hier geht es zur vorherigen Geschichte mit Hilde, falls du sie noch nicht kennst.

Hier geht es zu einem weiteren Abenteuer mit Hilde: Der Hipster.

Hauptkommissar Matthias Mattuschek, genannt Mattu, triffst Du auch in den Frankfurt-Krimis mit Sandy.